Nina Quintero und Rudi Kraus lasen Gedichte aus drei Büchern von Rudi Kraus
Reine Lyriklesungen sind die schwerste Disziplin in der großen Welt der Literaturlesungen, Performances oder Theatervorführungen. Schnell riskiert man die Zuhörer*innen zu überfordern oder zu langweilen. Einige Lyriker wie Franz Josef Czernin lesen daher ihre Gedichte zweimal, andere versuchen besonders gesetzt und langsam vorzutragen. Andere arbeiten mit visuellen Mitteln.
Rudolf Kraus setzte in seiner Lesung auf die beste aller Möglichkeiten. Er engagierte mit Nina Quintero eine sehr gute Sprecherin und Interpretin seiner Gedichte. Rudolf Kraus übernahm die zweite Stimme, was dem Vortrag noch einmal einen Schub gab.
Memento Mori
Das Programm war mehr als stimmig gewählt. Nina Quintero und Rudi Kraus lasen aus den Büchern “alpha[ge]bet”, “warten auf beckett” und aus “tausend tode könnt’ ich sterben” (alle Verlagshaus Hernals). Einige Texte waren mit Bedacht auf die Novemberfeiertage ausgewählt. Die Wörter Tod, Warten und Tränen schwebten durch den Raum wie ein zeitgenössisches Memento Mori.
Fast schon beiläufig präsentierten die beiden Vortragenden den literarischen Kosmos von Rudolf Kraus. Man konnte diesen Teil der Lesung mit einer literarischen Familienaufstellung vergleichen. Viele von Kraus’ Gedichte gehen über die einfache Reverenz in Form eines Zitats oder einer Widmung an einen anderen Autor oder Dichter hinaus. Kraus formt seine literarischen Würdigungen im Stil der Dichterinnen und Dichter, denen er das jeweilige Gedicht zueignet: Ob Ilse Aichinger, Helmut Qualitinger, Henry Miller, Robert Walser oder Carlos Williams Carlos – jedes Gedicht ist eine perfekte Widmung in Ton und Stil. Es geht Kraus um Stimmung und Stimmigkeit ohne allzu plumpes Epigonentum. Kraus bleibt eigenständig in seinen Texten. Gerade Carlos Williams Carlos, der mit Gertrude Stein als Erneuerer der amerikanischen Literatur gilt, wurde von Quintero und Kraus so wundervoll ins Hier und Jetzt transportiert, dass man allein für dieses eine Gedicht dankbar sein musste.
40 Gedichte
Der dritte rote Faden des Abends, bei dem nicht weniger als 40 Gedichte “zur Sprache” kamen, waren Wortspiele, versteckte Zitate und popkulturelle Referenzen. Ebenso das Spiel mit den Textsorten ist ein bedeutender Baustein im Werk von Rudolf Kraus. Das kann es schon mal sein, dass ein Gedicht die Form und Gestalt eines Aphorismus’ annimmt oder ein dialogisches Prinzip in die Lyrik Einzug hält. Die Zeit blieb nicht stehen, sie wollte es auch nicht – weder für eine kurze noch für eine lange Weile – und so schloss der Autor mit der Bemerkung, dass man jetzt schon “unaufgefordert die Zugabe lesen würde”, was ein weiterer Beweis für die Stimmigkeit des ganzen Abends war.
Nina Quintero und Rudolf Kraus bewiesen an diesem Abend eindrucksvoll, dass Lyrik ihren berechtigten Platz hat und wir freuen uns schon auf das nächste Buch!
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