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Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – die zweite Fußballlesung

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Im Juni des vergangen Jahres startete der read!!ing room in Zusammenarbeit mit der GAV und den “bogoljubow prudskis” ein Fußballprojekt, das sich mit unterschiedlichen szenischen und literarischen Mitteln den Themen Fußball, Antisemitismus, Migration und Rassismus in Österreich näherte. Als Basis dienten Texte von hiesigen Fußballsoziologen, zeitgenössische Zeitungsartikel und Spielerbiographien, die eigens für die Lesungen neu zusammengestellt wurden und im Sinne der “dokumentarischen Dichtung” einen eigenständigen Text ergaben.

In der ersten Lesung unter dem Titel “Aus Spiel wird Ernst” (12. Juni 2015)  stand die sogenannte Wiener Fußball-Schule im Mittelpunkt. Den Rahmen bildeteten die erste Profimeisterschaft, die von der jüdischen Sportvereinigung Hakoah gewonnen wurde und die Emigration von Legenden wie Béla Guttmann oder “Mr. Austria” Norbert Lopper*.

Die gestrige zweite “Performance” trug den Titel “…des san a kane Bloßfiaßigan” und stellte die sogenannten Legionäre, aber auch Eigenbauspieler wie die LASK-Legende Köglberger in den Vordergrund. Einer der Grundbotschaften wurde schnell klar. Spielerisches Können und individuelle Qualität setzte sich nicht immer durch und es bedurfte schon ganz besonderer Funktionäre mit dem notwendigen Weitblick, die gewisse Entwicklungen einleiteten. Oder anders ausgedrückt: Was helfen ausgewiesene Kompetenz und Können, wenn der Betreffende über keine “Hausmacht” verfügt. Béla Guttmann ist ein beredtes Beispiel dafür, dass der Prophet im eigenen Land wenig galt – teilweise noch immer wenig gilt.

Darüber hinaus wurde der sich herausbildende Managermarkt beleuchtet. Vor allem der bereits erwähnte Norbert Lopper war ein leuchtendes Beispiel für das neue Denken im Fußball, “organisierte” er doch Spieler aus Urugay und Bulgarien, die ein wichtiger Baustein für die Erfolge der Austria waren.

Anpfiff – das Spiel ist zu Ende, wenn der Schiri abpfeift

Anpfiff. Ein älterer Herr in einem komischen Outfit, das sehr stark an die Litfaß-Dressen österreichischer Profisportler/innen (Kurt Raubal) erinnerte und eine Frau mit Deutschlandkapperl  im himmelblauen Frottee-Hausmantel (Gabi Rökl) schauen sich ein Spiel der österreichischen Nationalmannschaft bei der Euro 2016 in Frankreich an. Der “Papale” (Raubal) ist voll des Lobes für die österreichische Mannschaft. Endlich sei ein ausländischer Trainer, der sein Handwerk verstehe (Koller) am Werken und noch nie habe Österreich derartig viele gute Spieler gehabt (Alaba, Arnautovic, Junuzovic). Das “Hasi” (Roekl) – benannt nach Franz Hasil – beweist seine ballesterische Unkenntnis und bewundert eigentlich nur das “Schokoripperl” Alaba – prompt wird sie vom “Papale” heftigst kritisiert. David Alaba, der Fußballgott aus München, sei kein “Schokoripperl”, sondern ein “Schwarzeuropäer”. Mit zunehmendem Spielverlauf und dem zweiten Gegentor kippt das Lob für Spieler und Trainer. Wut und Enttäuschung wechseln sich ab und die politisch korrekte Sprache bricht in sich zusammen. Zum Schluss bleibt nur Resignation darüber, dass Österreich doch nicht Europameister werde. Cut. Umbau.

Dieses “Vorspiel” – in Form einer Improvisation – steckte die Parameter für den Leseteil ab. Die oft kräftigen Schimpfkanonaden und das Schokoripperlgetue bildeten sprachlich einen scharfen Kontrast zu den spröden und nüchternen Informationen des Leseteils. Schnell wurde klar, dass Lesung und Performance ein Spiegelbild darstellen. Raubal und Rökl  belegten mit unterschiedlichen Mitteln, dass der österreichische Fußball ein Spiegel der Gesellschaft war und ist. Eckpunkte der Lesung waren die “displaced persons”, der Ungarnaufstand, der (fast) dazu geführt hätte, dass Weltklassespieler wie Ferenc Puskás in Österreich gespielt hätten, der Aufnahmestopp von Legionären im Zuge der Wirtschaftskrise in den 70er Jahren, die immerwährende Neutralität, die ein guter Boden war, Kicker wie Panenka nach Österreich zu lotsen. Erschreckende Parallelen zwischen der Ungarnkrise 1956 und der aktuellen Flüchtlingsdebatte taten sich auf.

Recruiting auf Österreichisch

Nebenbei arbeiteten Rökl und Raubal heraus, dass das österreichische Spieler-“Recruiting” in Österreich wenig systematisch war. Vieles hing vom Sachverstand und der grundsätzlich international ausgerichteten Haltung von Funktionären wie Norbert Lopper (Austria) oder Franz Binder jr. (Rapid) ab. Meist konnten diese ihre persönlichen Kontakte einsetzen um gute Spieler nach Österreich zu lotsen. Loppers Bulgarienkonnexion funktionierte über einen Wiener Wunderarzt und Rapid arbeitete mit der kommunistischen Zeitung Volksstimme zusammen um Anatoli Sintchenko aus Leningrad nach Wien lotsen zu können.

Raubal und Rökl gaben durch ihre Performance nicht nur einen wunderbaren Einblick in die österreichische Fanseele, in der “europäische Weltklasse” und “absolute Katastrophe” sehr eng miteinander verknüpft sind, sondern zeigten gleichsam die Mechanismen der österreichischen Gesellschaft/Wirtschaft in den 60er und 70er Jahren auf. Sie erinnerten  daran, dass das Bosman-Urteil aus dem Jahre 1995 einen Paradigmenwechsel für den Fußball weltweit bedeutete und zeigten, dass der Erfolg des österreichischen Klubfußballs sehr eng mit dem persönlichen Engagement von Funktionären zu tun hatte, die weit über den Tellerrand dachten, während das Publikum (zunächst) allzu oft mit großer Skepsis reagierte.

Der nächste Teil zur Reihe Fußball und Migration findet am 30. September statt.


*Der Autor dieses Nachberichts ist Mitglied des SK Rapid Wien, erkennt jedoch die Verdienste von Herrn Lopper um den Wiener Fußball neidlos an (!!!)

Veröffentlicht in Veranstaltungen

Ein Kommentar

  1. Kurt Raubal Kurt Raubal

    Hervorragende Synopsis und Feedback der gestrigen Kabarett-Lesung
    und vielen Dank für die Idee zu diesem Abend

    Ein Violetter

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