Peter Campa präsentierte seine neueste literarische Figur
Nach dem großen Roman über die Familie Freudensprung, hat sich Peter Campa einem neuen Projekt zugewandt. Er scheibt Kurzgeschichten in denen ein gewisser Herr Kudrna immer wieder auftaucht. Herr Kudrna ist ein rüstiger Pensionist und ehemaliger ÖBB-Mitarbeiter, der in der Donaustadt lebt. Campa transferiert seine Erzählungen also diesmal nach Transdanubien. Herr Kudrnas Alltagserlebnisse – mal handelt es sich um ein stichfestes Joghurt, mal um Ziererdbeeren, die er sich einverleibt – hatten für die meisten Zuhörer/innen einen hohen Wiedererkennungswert. Dabei ist Peter Campas literarischer Trick so einfach, wie bestechend. Eine gewisser naiver Erzählduktus, gepaart mit alltäglichen Ereignisse sowie die Gabe des “Sich-Wundern-Könnens” sorgen für zahlreiche unterhaltende Pointen und regen dazu an, sich über die eigenen Rituale, die kleinen Ärgernisse des Alltags und das tägliche Hamsterrad lachend Gedanken zu machen.
Daher freuen wir uns ganz besonders die erste Geschichte über Friedrich Kudrna an dieser Stelle erstveröffentlichen zu dürfen. Die Fotos stammen von Thomas Lehmann.
Die erste Geschichte von Friedrich Kudrna
Das stichfeste Joghurt
Friedrich Kudrna hatte vor einer Woche seinen sechsundfünfzigsten Geburtstag gefeiert. Gefeiert ist vielleicht übertrieben, die einzigen Gratulanten waren die Firma Billa – er war nämlich Mitglied im Vorteilsclub – und die Wiener Städtische Versicherung, die die Haftpflicht für seinen alten Skoda übernahm. Seit einiger Zeit war er wieder alleinstehend, vor einem Jahr hatte seine Frau sich von ihm getrennt und vor zwei Monaten wurden sie geschieden. Nun wartete er auf den Zeitpunkt, an dem er nicht mehr geschieden, sondern endlich wieder ledig sein würde.
Wie so manches mehr oder minder angenehme Ereignis in seinem Leben, hatte er auch dieses mit Fassung getragen, eigentlich fühlte er sich ja noch jung. Dabei war er bereits in Pension, die Österreichischen Bundesbahnen hatten ihn einfach wegrationalisiert, dies hatte er mit der ebengleichen Fassung genommen.
Wie würde sein Leben weiter gehen? Er fürchtete ein gewisses Nichts, das ihn erwarten würde. Er hatte zwei Söhne, der eine war sechsundzwanzig und hatte vor einem Jahr in Informatik „sub auspiciis presidentis“ promoviert und lebte nun mit seiner Frau in Deutschland. Der zweiundzwanzigjährige lebte bei der Kindesmutter und war sehr unselbständig. Auch zu diesem hatte er nur wenig Kontakt.
Bereits in seiner Ehe litt Friedrich an Blähungen. Seine Frau hatte ihm damals öfters ein stichfestes Joghurt gekauft und immer wieder betont, wie wichtig gerade diese Stichfestigkeit für seinen Darm sei. Er hatte sich darüber stets gewundert und es war ihm nie gelungen, einen Zusammenhang zwischen dieser und seinen Blähungen herzustellen. Er hatte es einfach genommen, „nützt ´s nichts, so schadet´s nicht!“ hatte er sich gedacht.
Ja, jetzt war es wohl wieder an der Zeit, sich ein stichfestes Joghurt zu besorgen. Dies hatte früher immer seine Frau getan. “Wo man das wohl bekommt? Was war daran eigentlich stichfest? Der Deckel oder das Joghurt selbst? Gut, dass ich beim Vorteilsclub bin”, dachte er.
Er machte sich auf den Weg aus seiner Wohnung im zweiundzwanzigsten Bezirk in den nahe liegenden Supermarkt. Bald fand er wirklich so ein stichfestes Joghurt und nahm zur Sicherheit gleich zwei. Solange er in Bewegung war, kamen ihm seine Blähungen gar nicht so schlimm vor. Doch jetzt musste er anhalten. Vor ihm war nämlich eine lange Warteschlange. Da fiel ihm ein, dass er jetzt bald sechzig Jahre alt werden würde. “Vier Jahre noch”, dachte er. “Dann bin ich alt”. Er erinnerte sich noch, wie ein Arbeitskollege, der im selben Jahr geboren war wie er, gesagt hatte: „Du, jetzt derf ma uns nimmer trauen!“ Friedrich hatte ihn damals verwundert gefragt, wieso denn. „Es heißt doch: Trau keinem über dreißig und jetzt sind wir dreißig!“ “Dass da vorne bei der Kassa nichts weiter geht”, ärgerte er sich. “Der hat einen merkwürdigen Namen gehabt, der ist dann weg von den ÖBB, ein zwei Mal hab ich ihn dann noch auf der Straße gesehen, aber das ist auch zumindest zwanzig Jahre her. Wie hat der bloß geheißen? Na ja, Alzheimer wird das schon nicht sein. Die Leute reden immer so viel von den Krankheiten, mir geht das eigentlich am Arsch”, dachte er, während sich die Schlange noch um keinen Zentimeter weiter bewegt hatte. Er war eigentlich ein positiver Mensch, doch seine Zukunft schien ihm ungewiss. Würde es immer so weiter gehen wie jetzt, bis zu seinem Tode und nachher vielleicht auch noch? Die Reihe schob sich um eine Person weiter. Friedrich verspürte seine Blähungen für einen kurzen Augenblick und versuchte nicht zu furzen, was nicht gelang. Die beiden jungen Männer hinter ihm kicherten als sie das Geräusch hörten. Aber Friedrich war ein wenig leichter. “Zu Hause werde ich das Joghurt essen, das wird mir gut tun. Aber jetzt dauerte das wieder so lange”. Friedrich hielt in jeder Hand ein Joghurt und je länger er warten musste, um so fester hielt er es. Ohne es zu wissen, drückte er einmal fest mit seinem Daumen auf den Joghurtdeckel. Da merkte er, wie dieser feucht wurde. Der Deckel war offenbar nicht stichfest. Er wartete weiter und weiter und trat von einem Fuß auf den anderen. “Ob ich noch in meinem Alter noch eine Frau finden werde?” dachte er. Die Reihe schob sich wieder um eine Person nach vor. “Jetzt ist aber Zeit für einen Neuanfang”, kam ihm in den Sinn. Da begann die Dame vor ihm zu schreien. „Sind Sie wahnsinnig? Meine neuen Schuhe!“ Friedrich wunderte sich, was da eigentlich los war und wieso die Schuhe der Dame so weiß waren. Unbewusst hatte er das Joghurt umgedreht und offenbar war auch das Joghurt selbst nicht ganz stichfest.
Als ihm bewusst wurde, dass einer der beiden Joghurtbecher nun leer war, verstärkten sich seine Blähungen neuerlich und er spürte, dass er ganz dringend aufs Klo müsse. Die Warteschlange vor ihm war aber bis jetzt nur unmerklich kürzer geworden und er musste dringend auf die große Seite. So stellte er die beiden Becher unmerklich in einem Regal ab, trat aus der Warteschlange aus und ging bis zur Kassa vor. Da wurde er aber durch eine stärkere Dame mit einem übervollen Einkaufswagen, die sich in viel zu kleinen Stöckelschuhen an ihrem schlanken Mann anhielt, am Weitergehen gehindert. Dieser Mann sagte: „Na, junger Mann, ham´s es eilig?“ Da fühlte sich Friedrich gleich nicht mehr so alt und auch der Stuhldrang setzte kurz aus.”
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