Nach „Bad Weihnachten“ präsentierte Ludwig Roman Fleischer seinen aktuellen Roman „Die letzten 100 Jahre“, der erneut im Sisyphus-Verlag erschien, im read!!ing room.
Der Roman zeigt eine Familiengeschichte, die sich über mehrere Generationen erstreckt. Der vierundzwanzigjährige Gabriel Lenz, der aktuelle Stammhalter sozusagen, ist mehr oder weniger die Hauptfigur. Er wird gedrängt, die »brotlose Kunst« des Musikstudiums aufzugeben und stattdessen Musiklehrer und vor allem Vater zu werden. Mit beidem kann der junge Mann nicht wirklich etwas anfangen. Er sieht für sich einen anderen Lebensentwurf.
Zu viel soll nicht verraten werden. Wir wollen ja nicht das Ende des Romans „spoilern“ – wie man im aktuellen Zeitgeistsprech zu sagen pflegt.
Ideolekte und Soziolekte – mehr als eine Staffage
„Zeitgeistsprech“ ist überhaupt ein wichtiges Stichwort für Fleischers Roman. Er beschreibt in seinem Roman nicht nur die Geschehnisse um einen strammem Nazi, der sich als Vernaderer und Feldpolizist verdingt und dann als minderschwer belasteter Nazi wieder in Amt und Würden gestellt wird, sondern kleidet die Erlebnisse in ein zeitgenössisches linguistisches Gewand. Der Autor setzt dabei sowohl auf Ideolekte und Soziolekte. Da fallen längst ausgestorbene Begriffe wie „die Elektrische“ um etwa eine Straßenbahn zu beschreiben.
Typen und Figuren
Fleischer stellte dem Publikum auch einen hochmusikalischen Mitläufer der Sozialdemokratie vor, der zwar ein Handwerk gelernt, jedoch lieber in den Heurigen von Nussdorf herumschrammelt und sein Frauenglück nicht glauben kann; ein richtiger Halodri, wie man einst sagte, der eher ein beiläufiger Augenzeuge des Justizpalastbrands wurde.
Aber damit nicht genug. Auch die jüngste philosophische Doktorin der Republik spielt eine Rolle in Gabriels Ahnengalerie. Es ist ein buntes Panoptikum an Figuren und Typen, die Fleischer auftreten lässt. Viele kommen einem bekannt vor. Einige sind neu und überraschend.
Ludwig Roman Fleischer ist nicht nur der Autor des Romans, sondern auch der Regisseur. Wie in einem Theaterstück lässt er sein Personal auftreten. Seine Figuren erzählen die eigene Geschichte und wie beiläufig jene von Österreich entlang der wichtigsten Daten der Zeitgeschichte. (1916, 1928, 1934, 1938, 1965). Sowohl im Roman als auch während der Lesung erweckte Ludwig Roman Fleischer seine Figuren zum Leben. Dies passierte, wie schon angedeutet, über die Sprache. Nicht nur über die Lexik, sondern auch über den Stil. Es wurde die schöne Sprache im Rhythmus des Maschinengewehrs vorexerziert, genauso wie das liebevolle Böhmakeln der Urgroßmutter oder der Whats App-Sprachstil der aktuellen Generation.
Ludwig Roman Fleischer gelang es an diesem 13. Juni 2019 nicht nur die Geschichte Österreichs anhand einer Familiengeschichte zu erzählen, sondern diese Erzählungen und Figuren mit einer unglaublichen Authentizität auszustatten und darzubieten.
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