Zum Inhalt springen →

Wer die Hausmeisterin nicht ehrt…

Cordoba 1978. Österreich schlägt den amtierenden Fußballweltmeister Deutschland mit 3:2. Einfach nur legendäääär – um es mit einem fast schon geflügelten Wort eines damaligen Protagonisten auszudrücken. Soweit zur Zeitgeschichte.

Ein Schwenk in die Hasengasse im 10. Wiener Gemeindebezirk, direkt gelegen am Waldmüllerpark. Die ebenso legendäre Hasengasse, bekannt als fiktiver Wohnort eines gewissen Mundl Sackbauers, der als “echter Wiener” bekanntlich nicht untergeht. Andreas Pittlers Hasengasse ist eingetaucht in den Lärm der Fernsehübertragung eines sommerlichen Fußballmatchs, das in Österreich zum Allgemeingut gehört.

Nicht irgendein Match, aber irgendein Mord

Unweit von der Hasengasse, wo mit Paul Zedlnitzky jener Polizist wohnt, den wir aus Andreas Pittlers “Schatten aus Stein” kennen, ist (schon wieder?) etwas passiert. Zedlnitzky wird in dieser Kurzgeschichte zu einem Tötungsdelikt in den Jean-Jaurès-Hof in die unweit gelegene Neilreichgasse gerufen… Ein Mann wurde niedergestochen, eine Hausmeisterin ist Zeugin des Vorfalls. Die Geschichte, die Pittler konstruiert, entwickelt sich zu einem skurrilen Lehrstück.

Eingebettet in den O-Ton von Kommentator Edi Finger entwickelt der Autor den Konflikt. Nein, nicht was Sie denken. Nicht den Konflikt zwischen Täter und Opfer. Viel schlimmer! Das gesamte Personal der aufgebotenen Exekutive ist in einen Gewissenkonflikt verstrickt, der menschlicher nicht sein könnte: Kommt zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen? Oder philosophischer gefragt: Darf man ein Fußballmatch von nationalem öffentlichen Interesse via Kofferradio verfolgen, wenn die Leiche eh nicht wegläuft?

Eine Hausmeisterin ist schließlich eine Respektsperson

Die zweite Geschichte des Abends wurde von Andreas Pittler aus der Sicht der Hausmeisterin des bekannten Wiener Reumannhofs erzählt. Drei kurze Kapitel wurden jeweils dialogisch aufgebaut. Pittler blendete allerdings die zweite Person, also die Gegenrede aus. So entstand eine Art monologischer Dialog. Der Trick dabei ist, dass die Rede, das vermeintliche Telefonat oder Interview, sich eigentlich direkt “ad spectatores” richtet und das Erlebte oder Erzählte somit noch dichter und eindringlicher wird.

Die Hausmeisterin stellt in einem vermeintlichen Fernsehinterview nicht nur das soziale und soziologische Biotop eines der bekanntesten Wiener Gemeindehöfe vor, sondern erzählt auch noch en passant von einem Mord. Eine Hausmeisterin weiß eben alles – und sie kann auch das eine oder andere richten, das über den Ersatz einer Glühbirne hinausgeht. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Zugabe: Leben im Konjunktiv

Die Zugabe griff auf dasselbe Stilmittel zurück. Der unerwiderte Dialog eingebettet in die Entstehungsgeschichte eines Essays. Man könnte den Text auch als “Einblick in die Wiener Seele – oder wie lernt man möglichst unverbindlich zu sein” bezeichnen. Wer die Antwort auf diese Frage haben möchte, lese bei Andreas Pittler nach und lasse sich über das Leben im Konjunktiv belehren. Ein kleines Beispiel gefällig: “I sagert amoi so…” bedeutet ja noch lange nicht, dass ich meine eigene Meinung kund tue. Es handelt sich um einen Meinungsvorschlag, der bei entsprechender Reaktion des Gegenübers zu einem “wie ich doch sage…” werden kann. Dieses Leben im Konjunktiv ist auch wahrscheinlich daran schuld, dass bei allen korrupten Politiker*innen stets die Unschuldsvermutung gilt…

Synchronisation für Nichtwiener*innen notwendig

Andreas Pittlers Lesung war nicht nur ein Ausflug in die Vergangenheit oder eine kriminalistisch angehauchte Lesung zum Thema Wiener Gemeindebau, sondern auch eine Reise ins Wiener Idiom, das so ausschlaggebend für das Weltkulturerbe Wiener Schmäh ist. Vor allem die Hausmeisterin aus dem Gemeindebau spricht oder sprach so, als sei sie ein lebendiges Dialektwörterbuch – gespickt mit Redewendungen, die es in einigen Jahren wahrscheinlich nur mehr in verschriftlichter Form geben wird. Es ist nicht nur ein Genuss Andreas Pittler zu lesen, es ist ein wahrlich noch größerer Genuss ihm zu lauschen…

Habe die Ehre!

Veröffentlicht in Veranstaltungen

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert