Googelt man „Aschmedai‘s Sonette“ zusammen mit dem Namen ihrer Autorin Rosa Mayreder wird man nicht wirklich fündig. Es gibt kaum Einträge. Nur allzu rar scheint die Beschäftigung mit dem letzten Werk von Rosa Mayreder zu sein. Dies ist ungewöhnlich da Rosa Mayreder, mittlerweile viel geehrt, einen fixen Platz im kollektiven Gedächtnis der österreichischen HERStory hat.
Immerhin prägte das Porträt der Malerin, Literatin und Philosophin den letzten 500-Schilling-Schein. Der Park neben der Technischen Universität im 4. Wiener Gemeindebezirk heißt ironischerweise Rosa-Mayreder-Park. Die Ironie ist einfach erklärt: Rosas Ehemann Karl „Lino“ Mayreder war ordentlicher Professor an der TU und sehr bemüht um das Fach Städtebau. Von 1922 bis 1923 war er Rektor, musste jedoch schon im Jänner 1923 krankheitsbedingt zurücktreten und 1925 den Ruhestand antreten.
Trauerarbeit
Seither pflegte Rosa Mayreder ihren Mann, der am 9. September 1935 verstarb. Wieso reden wir in einer Besprechung über Rosa Mayreder über ihren Mann Karl? Ist dies das patriachalische Nichtloslassenkönnen? Oder handelt es sich um jene vorherrschende männliche Definitionsmacht, die Frauen im Wesentlichen über ihre Ehemänner definiert („die Frau von…) ? Mitnichten… Wer weiß, ob Aschmedais Sonette ohne das Ableben von Karl Mayreder entstanden wären? Dies klingt vielleicht im ersten Moment pietätlos, aber… Aschmedais Sonette, die Rosa Mayreder im Jänner 1937 schrieb, sind nicht nur eine spannende literarisch-philosophische Arbeit, sondern auch ein Stück Trauerarbeit, wie die Autorin ihrem Tagebuch anvertraut. Wir finden folgenden Eintrag aus dem Februar 1937 „Kaum erlahmt die Beschäftigung [mit Ashmedais Sonetten: Anm. the], so bricht die Wunde wieder auf, und der Schmerz ist wieder da – nicht so dauernd, aber nicht minder heftig wie zu Beginn. Die Vorbereitung zur Separatausstellung von Linos Werken hat das Gefühl verlorener Jahre, das Vergebliche, Abgebrochene eines reichen, vielverheißenden Lebens, in dem jener Schmerz sich gründet, wieder tief getroffen.“ (Rosa Mayreder; Tagebücher 1873 – 1937; Seite 297; Insel, 1988).
Tertium non datur
Diese Textstelle ist doppeldeutig. Bei einer flüchtigen Lektüre nimmt man an, dass das „Gefühl verlorener Jahre“ sich auf die Karriere ihres Mannes bezieht. Allerdings könnte auch das eigene Leben gemeint sein – zumal Mayreder das eigene Wirken ein wenig zu Gunsten der Pflege von Lino zurückstellte. Und diese Doppeldeutigkeit, dieses „sowohl auch auch “ ist – wie Simone Stefanie Klein in ihrem Kommentar zu „Aschmedais Sonette“ herausarbeitet – Bestandteil von Mayreders Denkweise. Laut Klein finden wir auch in den Sonetten zwei wichtige Motive und Haltungen der Philosophin, die sich mit folgenden Sätzen/Axiomen zusammenfassen lässt. „Ne quid nimis“ (=nichts im Übermaß) und „tertium non datur“. Vor allem das zweite Axiom, das vereinfacht mit einem „sowohl als auch“ im Gegensatz zur dominanten „Entweder-Oder“-Denkweise übersetzt werden kann, ist ein wichtiger Bestandteil des mayrederischen Gedankengebäudes.
In der modernen Logik besagt der Satz vom „ausgeschlossenen Dritten“, dass für eine beliebige Aussage die Aussage selbst (“oder nicht”) gilt. Die Aussage gilt genauso wie ihr Gegenteil. Dieses Denken ist absolut wichtig für viele Themen, die Mayreder anspricht. Wie Klein im zweiten Kapitel ihres Essays deutlich darlegt, gilt diese Annahme auch für Mayreders Gottesbild und hebt beispielsweise das Problem der Theodizee auf. Ein wichtiger Hinweis der Herausgeberin ist es auch, dass vor allem die späten Werke von Mayreder sehr stark unter dem Einfluss von Goethes Werken stehen (Anda Renata ist hier besonders zu nennen).
Schöpfungsgeschichte anders
Im dritten Kapitel ihres Essays mit der Überschrift „Was für einer Aschmedai ist“ beschäftigt sich Klein mit dem Namensgeber der Sonette. Aschmedai scheint erstmals in Rosa Mayreders „Anda Renata“ auf. Er nimmt dort die Position des Widersachers Gottes ein – was auch essenziell für die Sonette ist. Vorbild für Aschmedai war Alain-René Lesages Asmodeus, der Aschmedai respektive Asmodeus als „hinkenden Teufel“ bezeichnet. Es handelt sich eigentlich um einen Dämonen, der unbedingt für die weltlichen Freuden zuständig ist. Er sorgt für sogenannte „unstandesgemäße Ehen“, habe Chemie und Glücksspiel erfunden und sei zuständig für Theater, Musik und nicht zuletzt die französische Mode. Schließlich bezeichnet er sich als Cupido selbst…
Mayreder inszeniert ihren Aschmedai als „weisen Narren“, wie Klein sich ausdrückt. Gebündelt in 30 „italienischen Sonetten“ präsentiert sich Aschmedai als ein Erzähler, der absolut nicht die Rolle eines Außenstehenden einnimmt. Vielmehr ist er ein Sandkorn im Getriebe der allzu leicht akzeptierten und allzu leicht übernommenen Glaubenssätze im abendländischen Denken. Er bleibt der Rolle als Gegenspieler Gottes treu.
Vor allem im zweiten Teil der Sonette wird dies deutlich. Aschmedai erzählt die Schöpfungsgeschichte neu. Natürlich bekommt Adam – also der Mann an sich – ganz schön „sein Fett weg“ um es einmal salopp zu formulieren. Eva spielt eine deutlich geringere, wenn auch wenig rühmliche Rolle. Bereits das erste Sonett gibt die Marschrichtung vor. Besonders das Sonett Nummer VI spricht eine deutliche Sprache. Der Mann ist nicht mehr als ein eitler Hahn (zu einem Pfau hat es nicht einmal gereicht) und Eva wird „als gehässig und verdrossen“ bezeichnet (Sonett XVI).
Bei dieser wenig charmanten Charakterisierung von Adam und Eva drängt sich eine Frage auf. Wenn Adam und Eva nach dem Abbild Gottes geschaffen wurden, müsste Gott im Gegenzug dann nicht genauso unvollkommen sein, wie seine Schöpfung? Rosa Mayreder gibt auch hier eine eindeutige und überraschende Antwort.
Und hier sind wir wieder beim Ausgangszitat aus Rosa Mayreders Tagebuch angelangt. Adam und Eva in Aschmedais Sonetten könnten – mit ein wenig Fantasie – auch für „das Gefühl verlorener Jahre, das Vergebliche, Abgebrochene eines reichen, vielverheißenden Lebens“ stehen. Oder anders formuliert: Könnten Lucifer und Gott nicht auch für Rosa und Karl, für Mann und Frau stehen? Das letzte Sonett ließe diese Interpretation zu… Womit sich der Kreis schließt.
Weit mehr als ein Kommentar
Der Kommentar von Simone Stefanie Klein geht über den Essay hinaus. Zum einen hat die Herausgeberin die Sonette in einen philosophiegeschichtlichen und philosophischen Kontext gesetzt. Zum anderen hat sie durch die zahlreichen Grafiken, die oft feine Montagen aus alten Stichen und neueren Fotos sind, auch eine bildliche Kommentarebene eingezogen, die es der geneigten Leserschaft, ermöglicht, sich intensiv mit dem Buch zu beschäftigen. Klein bezeichnet diese Grafiken selbst als „launige Allegorien“. Dies trifft in der Tat zu. Die Bilder sind mehr als eine bloße Behübschung, sondern lassen den Schalk der Herausgeberin durchblitzen. In gewisser Weise schlüpft Klein ein wenig in die Haut von Aschmedai und „spielt sich ganz ordentlich“ wie man so schön auf Wienerisch sagt.
Der große Verdienst von Simone Stefanie Klein und der edition libica ist es Rosa Mayreders literarisches Werk wieder zu aktualisieren und der Vergessenheit zu entreißen. Das literarische Werk ist untrennbar mit dem philosophischen verbunden. Dies wird von Simone Stefanie Klein eindrucksvoll bewiesen.
BUCHPRÄSENTATION
ASCHMEDAI’S SONETTE AN DEN MENSCHEN
am Samstag, den 24. November 2018, Beginn: 17:00
Die edition libica und der Bund Österreichischer Frauenvereine laden unter Mitwirkung des Clubs der Wiener Musikerinnen zur feierlichen Präsentation eines besonderen Buches ein:
Aschmedai’s Sonette an den Menschen von Rosa Mayreder (1858 – 1938).
Es handelt sich dabei um Rosa Mayreders letztes Werk, das nur einmal 1937 im Privatdruck erschienen ist.
Anlässlich des 160. Geburtstags der Autorin und des 5-jährigen Verlagsjubiläums hat Simone Stefanie Klein die 30 Sonette unter Beigabe eines erläuternden philosophischen Essays und einigen launigen Illustrationen in einer sorgfältig gestalteten bibliophilen Ausgabe vorgelegt.
Veranstaltungsort
Bund Österreichischer Frauenvereine
1090 Wien, Wilhelm Exnergasse 34
www.ncwaustria.org
Es sprechen
SIMONE KLEIN (edition libica)
ELEONORE HAUER-RÓNA (Bund Österreichischer Frauenvereine)
Musikalische Gestaltung
MIKA MORI (Klavier)
spielt Klaviermusik von Hugo Wolf
JULIANE PEHM (Violine) und
ALEXANDRA BACHTIAR (Violoncello)
spielen Duos von Reinhold Glière
Um telefonische Platzreservierung bei Eleonore Hauer-Róna wird gebeten
unter Tel. 01 889 53 68 (Bitte auf den Anrufbeantworter sprechen).
Ich würde mich sehr freuen, Sie am 24. November begrüßen zu dürfen. Für Rückfragen stehe ich natürlich gerne zur Verfügung!
Veranstaltungsort
Bund österreichischer Frauenvereine
1090, Wilhelm Exnergasse 34
www.ncaustria.org
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