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Schallplattenablecker und Konspirationsliebhaber

Nino Markinkovic hegt ein Faible für John Steinbeck und William Saroyan. Seine Texte – soviel darf schon verraten werden – sind stilistisch wohl gefeilt. Auch wenn der Beginn der Lesung ein wenig improvisiert wirkte – und wirken sollte – so hatte Nino Marinkovic einen Plan, der sich vor den Zuhörer*innen im read!!ing room Schritt für Schritt entfaltete.

Essays und Nostalgie

Die ersten Essays, die Nino Marinkovic las, fielen unter die imaginäre Überschrift “Nostalgie / Kunst”. Der Autor beschäftigte sich u.a. mit dem sinnlichen Erlebnis namens Schallplatte. Am liebsten würde er eine Vinylscheibe ablecken. Auch dieser Satz war kein Zufall. Er wurde vom Autor wohl gesetzt, da ihm nicht nur ein Lacher aus dem Publikum gewiss war, sondern er still und heimlich den zweiten Essay des Abends ankündigen konnte. “Ansichtskarten” beschäftigte sich mit Briefmarken und Postkarten. Abgerundet wurde das erste Set mit einem Essay über Kunst. Nino Marinkovic unterließ es nicht nur eine Definition für Kunst zu suchen, sondern zelebrierte fast schon expressis verbis das kulturelle Banausentum.

Der Begriff “Banause” kam übrigens zweimal im Laufe des Abends vor. Der Banause ist ja im Allgemeinen – so will es zumindest die Definition – ein Mensch ohne Verständnis für geistige, künstlerische Dinge oder für eine gewisse Lebensart. F. L. Graf zu Stolberg definierte den Banausen (der griechischen Herkunft gemäß) als Handwerker. Sich selbst als Banause zu bezeichnen, kann also eine billige Form des “fishing for compliments” sein. Es kann aber genauso gut eine positive Konnotation haben: Der Banause als Handwerker, der in der Lage ist, etwas Solides, etwas Bleibendes zu schaffen… Der stolberg“’sche Sinn muss im Falle von Nino Marikovics Essays auf jeden Fall mitgedacht werden.

Und das I-Tüpfelchen an der Geschichte ist: Die Stolberggasse, die nach F. L. Graf zu Stolberg benannt wurde, befindet sich nur wenige Meter von der Anzengrubergasse entfernt.

Nino Marinkovic Lesung read!!ing room 05. 11. 2021

Konspirationsliebhaber und das System

Im Anschluss an die ersten Essays, las der Autor eine autobiografisch gefärbte kurze Geschichte, die von einer Begegnung zwischen einem jungen Mann und einer älteren Dame bei der Straßenbahnstation Oper erzählte. Das belletristische Intermezzo teilte den Essayblock und leitete zum zweiten Teil des Abends über.

Das zweite Set Essays befasste sich mit aktuellen und vor allem gesellschaftspolitischen Themen. Marinkovic bewies sich als diskursfest und sprachsensibel. Er bewies quasi warum es geschickt sei, das Wort “Verschwörungstheoretiker” durch jenes der “Konspirationsliebhaber” zu ersetzen. Dieser Kunstgriff war lediglich Anlass um sich mit den Eigenschaften von “Konspirationsliebhabern” zu beschäftigen. Schicht für Schicht sezierte er die Eigenschaften und Qualitäten von Verschwörungstheoretiker*innen. Er legte das elitäre Gehabe frei, das sich meist unter einer vielleicht wohlmeinenden Empörtheit verstecke. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit dem “System”. Er entlarvte die Verachtung des Mainstreams und den Hang zum Okkulten als wichtige Paradigmen von sogenannten “Konspirationsliebhabern.” Nahtlos ging es um das System und eine gezielte Kapitalismuskritik.

In einem weiteren Essay zum Thema Krieg verglich Marinkovic die afghanische Taliban mit den politischen Entscheidungsträgern in Polen. Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen beiden politischen Systemen sei der mehr oder weniger explizite Wunsch zu einer patriachalen Matrix zurückzukehren und sämtlichen Gleichberechtigungsmaßnahmen zu konterkarieren. War der erste Teil noch ein wenig der Nostalgie über vergangene Dinge verbunden, waren die Essays des zweiten Teils brandaktuelle Kommentare zu den Geschehnissen, die uns bewegen.

Das Beste kommt zum Schluss

Am Schluss stand eine längere Erzählung, die eine andere – ja poetische – Facette des Autors zeigte. Im Zentrum der Kurzgeschichte standen ein Papierhändler und eine Kunde, die eine jahrelange Freundschaft verband, die ihre ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten hatte. Das vielsagende und offene Ende sorgte für angeregte Diskussionen…

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