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Jatzek und Orou: Von Oberschildbach in die Welt hinaus

Gerald Jatzek und Christian Orou kennen sich schon eine ganze Weile. Sie spielten gemeinsam Kindertheater respektive Kabarett und wenn man Wikipedia trauen darf, standen sie bereits 2007 zusammen auf der Bühne.

Nun arbeiten beide an einer Sammlung von Kurz- und Kürzestgeschichten, die dem geneigten Publikum gestern in der Anzengrubergasse im 5. Bezirk zu Gehör getragen wurden. Dabei wurde der read!!ing room seiner Rolle als sehr interaktiver Raum, in dem man sich ausprobieren kann, wieder einmal mehr als gerecht. Das Ergebnis war eine sehr unterhaltsame Lesung mit spannenden musikalischen Einlagen und gekonnt improvisierten Übergängen (O-Ton: “Na lies du weiter, sonst vergisst man ja alles, was du gelesen hast”). Eine feine Sache…

Alles beginnt in Oberschildbach

Christian Orou las zunächst aus seinen Texten rund um den Ort Oberschildbach, dessen – Achtung Wortspiel – “Highlight” das fensterlose Rathaus und das Vorhandensein von asphaltierten Straßen mit entsprechenden Zebrastreifen ist. Das Oberschildbach von Orou liegt in Oberösterreich und dürfte fiktiv sein. Tatsächlich gibt es ein Oberschildbach in der Nähe von Bischofstetten in Niederösterreich. Daher muss vorausgeschickt werden: Ähnlichkeiten mit dem tatsächlich real existierenden Oberschildbach, das ganze 18 Einwohner*innen zählt, sind rein fiktional und zufällig.

Nun zurück zur Lesung: Der von Orou entworfene Stadtschreiber wurde beauftragt die Chronik des Ortes zu verfassen. Er begann ortsgebunden mit ausschweifenden Beschreibungen: Oberschildbach bietet viel Gegend und wenig Ortschaft. Der Name ist Programm und erinnert gewollt an das Heim der berühmt-berüchtigten Schildbürger*innen.

Da wundert es nicht, dass die Bewohner*innen von Oberschildbach getrieben sind von Begeisterungsfähigkeit und genauso kurzer Ausdauer. Neue Projekte werden rasch angegangen und selten umgesetzt. Ein Beispiel gefällig? Ja? Gerne: Die Oberschildbacher*innen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine besondere Form der nachhaltigen Beleuchtung entwickeln wollen. Sie fangen Glühwürmchen mit Säcken um das fensterlose Rathaus zu beleuchten… und wenn sie nicht gestorben sind….

Geist 1: Surreales von Gerald Jatzek

Ein wunderbarer Kontrapunkt zu Christian Orous Erzählungen bilden die wortspielreichen, bisweilen bitterbösen Texte von Gerald Jatzek. Er beschreibt einen Gott, der sehr unzufrieden mit seiner Schöpfung ist. Vor allem ist die Menschheit kaum erziehbar und schon gar nicht nach seinen Wünschen entstanden. Selbst Menetekel und Sintfluten wirken keineswegs erzieherisch. Tröstlich, dass es da neben den vier klassischen Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes auch noch eines nach (André) Breton gibt.

Von Gott bis zur mit “Heißluft aufgefüllten Uniform” am Heldenplatz ist es nicht unbedingt weit, sollen die Rekrut*innen doch am Tag der Fahne (genau jene, die wie eine Erdbeerschnitte aussieht) einen Eid auf alles Mögliche ablegen. Soweit so banal. In der surrealen Welt des Gerald J. endet dieses hochinfektiöse Zeremoniell dann in allgemeinen Beschussübungen des Papyrusmuseums und mit Kindern, die streng nach pädagogischen Kriterien der Parallelwelt ausgesucht, mit Haubitzen hantieren.

Herkules neu interpretiert

Zwischen den Texten spielte Gerald Jatzek auf der Gitarre. Oft auf Ansage von Orou (“Kannst was Türkisches oda Griechisches spühn, da mein nächster Text in Istanbul is”) Gesagt getan: Jatzek spielte und Orou las “Margariten im Oktober” Es folgten “Anamnesen” von Jatzek, sowie eine Neuinterpretation der Augiasställe und des erymanthischen Ebers – allerdings mit Christian Orous Kindern als Helden der Geschichte.

Nach einem Ausflug in den Prater beendeten die beiden Autoren die Lesung fast schon standesgemäß mit einem sehr wienerischen Text. Die lange Reise von Oberschildbach über Istanbul in den Wiener Prater endete folgerichtig in einem Wiener Kaffeehaus. Ein Ort, der uns allen vertraut ist. Ein Ort, an dem der Kellner “die Peinlichkeiten anderer” einsammelt…

So ging ein wunderbarer Abend voll des Lachens, des Raunens, des Musizierens viel zu rasch zu Ende.

christian orou gerald jatzek

der ausgewiesese Sportclub-Fan Christian Orou und Gerald Jatzek am 04. November 2022 im read!!ing room

Veröffentlicht in Veranstaltungen

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