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Reise nach Prag…

Es ist schon eine seltsame Sache, dass die verhältnismäßig kleine Gruppe der deutschsprachigen Prager/innen in wenigen Dekaden eine beachtliche Anzahl an Literat/innen hervorbrachte. Das Besondere: einige von ihnen wurden über die Grenzen Tschechiens im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt und populär – wobei “populär” untertrieben ist. Einige haben Weltrang erlangt: Franz Kafka und Rainer Maria Rilke als Erneuerer der literarischen Moderne, Egon Erwin Kisch als sprichwörtlicher “rasender Reporter”. Franz Werfel schrieb nicht nur als Expressionist Literaturgeschichte. Er gehörte zu den erfolgreichsten Schriftstellern seiner Zeit. Auch etwas weniger bekannte Autor/innen, wie die spätere “Grande Dame der Prager deutschen Literatur” Lenka Reinerová, die übrigens  genauso wie Egon Erwin Kisch in der Melanterichgasse mitten in der Prager Altstadt wohnte, ergänzen die beeindruckende Liste.

Der read!!ing room begab sich im Rahmen einer kurzen Pragreise zwischen dem 30. Juni und dem 01. Juli 2016 auf die Spuren der Prager deutschen Literatur. Schon während der Recherche wurde schnell klar, dass diese Spurensuche durchaus intensiv werden würde.  Einige Gedenktafeln – wie jene von Egon Erwin Kisch – erinnern an dieser Prager Legenden. Kafka und Hasek sind allgegenwärtig. Andere Plätze, Häuser und Orte an denen Franz Kafka, Franz Werfel, Gustav Meyrink und Co. wirkten sind versteckt oder nicht mehr existent.  So überpräsent Kafka auch ist, so wenig deutlich wird, dass Prag die Anlaufstätte für literarische Migrant/innen zwischen 1933 und 1938 war: F.C. Weiskopf und Bruno Frei stehen stellvertretend für all jene, die Exil und Widerstandskampf miteinander verbanden.

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Café Arco: Ein Literatencafé

Einige dieser Plätze und Häuser befinden sich jenseits der Moldau. Sie sind ein wenig entlegen, wie etwa die Villa Excelsior im Stadtteil Smichov unterhalb des Petrín, wo Rainer Maria Rilke 1895 seine Matura und die ersten Gedichte und Dramen erarbeitete, bevor er 1896 Prag als Einwohner verließ, um lediglich als Besucher wieder zu kommen. Aber auch die Redaktionsräume der verschiedenen Exil-Zeitschriften an denen Weiskopf, Lenkerová, Frei aber auch Kisch mitarbeiteten, befinden sich etwas außerhalb von der Altstadt.

Legendär sind auch die Caféhäuser in denen Literatur passierte. Die meisten von Ihnen existieren nicht mehr – und dennoch sind sie allgegenwärtig. Freilich gibt es keine Figur à la Peter Altenberg, dem die Tourist/innen ein Jahrhundert später, liebevoll die Kunststoff-Glatze tätscheln.

7 Menschen aus Wien auf den Spuren von…

Unsere Tour begann gleich neben dem Masarykbahnhof, der als Binnenbahnhof natürlich weitaus weniger “prachtvoll” ist, als andere Bahnhöfe, dafür deutlich mehr Charakter aufweist. In der Nähe befand sich das Kaffeehaus Arco, das angeblich zur fixen  Residenz von Max Brod, aber auch von Johannes Urzidil diente. Von Urzidil, dem österreichischen Staatspreisträger für Literatur des Jahres 1964, ist uns ein wunderbares Kafka-Portäit erhalten.

“Kafka kam nur selten ins Café. Wenn er kam, sprach er scheinbar einfache Sätze. Aber sie stiegen aus nicht enden wollenden Vorbereitungen, aus Dickichten tausendfältiger innerer Einwände, aus Abgründen, deren selbst sein bester Freund, obschon  der von allen unzweifelhaft Eingeweihteste, doch nur vermöge der aus der Tiefe kommenden Echos gewahr wurde. Hinter den einfachen Sätzen war ein unerfaßbares System von Sicherungsbauten. Ihre Syntax stand im Licht einer Sonnenschräge, in der Pygmäen bizarre Riesenschatten warfen und Giganten sich zu winziger Groteske zusammenkauerten. Er fragte sokratisch fast durch Fragen antwortend: ‘Glauben Sie nicht, daß man ist wie ein Fischer, der nicht genau weiß, wer eigentlich wen an der Angel hält, ob der Fisch den Fischer oder der Fischer den Fisch?’ Was er sagte, schien unbestreitbar. Es war, im gewöhnlichen Sinne,

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Maria Schnee

weder richtig noch unrichtig. Recht oder unrecht zu haben gehört zu den Privilegien des Durchschnitts. Bloße Ansichten lassen sich in Gerede verwandeln. Seine Sätze standen wie Felsen; aber Felsen haben eine lange Geschichte, die sich aus feurig-flüssigen  oder ozeanischen Tiefenereignissen erhebt. Zum Abschluß mochte dann einfach sagen: ‘Ich lerne. Das ist alles.’ (Urzidil; Prager Triptychon, 1997; 194-195)

Weiter ging es auf der Heinrichstraße zum Rilke-Geburtshaus, von dem allerdings nichts mehr übrig ist. Eine weitere Station auf unsere Reise war die Kirche Maria Schnee, die nicht nur von Detlev von Liliencron in seinem “Poggfred” verewigt wurde. Oskar Wiener hatte Liliencron die Kirche gezeigt und  bei dieser Gelegenheit die Geschichte erzählt, dass ein Stein, der sich aus der Kirche gelöst hatte, in einen protestantischen Prozessionszug gefallen sei und somit den Dreißigjährigen Krieg mitausgelöst hätte. Diese Geschichte goss Liliencron natürlich sofort in Verse.  Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass Berta von Suttner in dieser Kirche getauft wurde und just ihre Memoiren mit dem Taufschein beginnt.

Ich sah ein Kirchlein auch: »Marie im Schnee«
(Die Heilige Jungfrau, nordisch, tiefverschneit):
In einen Prozessionszug fällt, o weh,
Ein Stein. Tumult. Ade Besonnenheit.
Bautz: Martinez und Slavata. Herrje!
Der dreißigjährige Krieg steht schlachtbereit.
 Ein Steinwurf nur, ein einziger Steinwurf nur.
 Praha, na zdar! Dir gilt mein Liebesschwur.

Quelle: Poggfred

Nach einer kleinen Pause wechselten wir in die Melanterichgasse um Egon Erwin Kisch zu sehen. Das Haustor war merkwürdigerweise offen und der Innenbereich seines Geburtshauses zeigte ein schönes Kreuzgewölbe, alles sehr schön renoviert, fast schon ein wenig steril. Was der gute Kisch wohl dazu gesagt hätte… Das “Sex Machine Museum”, das sich ebenfalls in der Melanterichgasse befindet, brachte offenbar mehr “Ahas” bei den vorbeiziehenden Tourist/innen als Kischs Geburtshaus. Aber wahrscheinlich hätte der rasende Reporter auch dies zum Anlass genommen, um eine Reportage zu schreiben und auf die Eigenheiten der Prager Tourist/innen hinzuweisen. Auf Rabbi Löw, Golem und Meyrink verzichteten wir, da kein wirkliches Durchkommen mehr möglich war und Alt- und Josefstadt an einem sehr warmen sonnigen Julitag mehr als gut gefüllt waren. Der Hradschin rief unüberhörbar und wurde in der heißen Juli-Sonne von einer kleinen pragbegeisterten Gruppe erklommen.

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Gedenkplakette an Egon Erwin Kisch

Veröffentlicht in Veranstaltungen

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