Bis einschließlich 17. März 2024 läuft in der „Albertina modern“ die Ausstellung: „Herbert Böckl. Oskar Kokoschka. Eine Rivalität.“ Es handele sich – laut Albertina – um eine Ausstellung rund um „zwei der wohl bedeutendsten österreichischen Künstler des Expressionismus“.
Der read!!ing room organisierte am 27.01.2024 eine Exkursion in die „Albertina modern“. Nach einer kurzen Einführung zu den beiden Künstlern (die wir hier einfließen lassen), besuchten wir gemeinsam die Ausstellung im Untergeschoss des Hauses am Karlsplatz. In vier großen Räumen präsentiert die Albertina Zeichnungen, Ölgemälde und Aquarelle von Kokoschka respektive Boeckl aus mehreren Jahrzehnten.
Aufbau der Ausstellung
Oskar Kokoschka steht mit seinem zeichnerischen Werk am Beginn der Ausstellung; im zweiten Raum finden wir jenes vom Herbert Boeckl. Im dritten und vierten Ausstellungsraum hängen unterschiedliche Werke aus der späteren Schaffenszeit der beiden Künstler.
Eine zentrale Rolle in Raum 4 nehmen Studien ein, die Herbert Boeckl 1931 auf Einladung des damaligen Primars des Kaiser-Franz-Joseph-Spitals im Seziersaal vornahm. Boeckl näherte sich dem Thema Tod und Vergänglichkeit mit einer Reihe von Studienzeichnungen, von denen ein Teil in der Ausstellung sehr prominent zu sehen sind. Die Ironie der Geschichte ist, dass ein Jahr später – 1932 – Herbert Boeckls Sohn Oskar geboren wurde, der als Erwachsener ein angesehener Chirurg werden sollte. Oskar Boeckl emerierte 1998 als Primar und Universitätsprofessor am LKA Salzburg.
Das Thema der vermeintlichen Rivalität zwischen Kokoschka und Boeckl wird leider nicht kontextualisiert. Es gibt auch keinen wirklichen Ausstellungskatalog oder einen Audioguide. Google findet zwar ein PDF-Dokument mit einigen Werken, Gedanken zur Ausstellungsgruppierung, biographischen Daten und Ausstellungstexten, aber auch dieses PDF gibt wenig Auskunft, wie sich die mögliche Rivalität zwischen den Künstlern gestaltete. Der gemeinsame Nenner besteht darin, dass sich im Werk deutliche Parallelen finden lassen. Allerdings entschied sich die Kuratorin Elisabeth Dutz eher für ein Nebeneinander, denn für eine direkte Konfrontation/Rivalität. Dies wird bereits in den ersten beiden Räumen der Schau ersichtlich.
Worin bestand denn nun die titelgebende Rivalität?
Wie gestaltete sich denn nun die Rivalität zwischen den beiden Künstlern? Duellierten sie sich mit Pinsel und Palette? Nahmen Sie an Wettbewerben teil? Oder ging es um Ruhm und Ehre? Die folgenden Zeilen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellen nur ein paar Blitzlichter dar. Tatsächlich gibt es einige Indizien, die von einer künstlerischen Rivalität zwischen den beiden zeugen.
Bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Oskar Kokoschka und Herbert Boeckl in den Ausstellungsbesprechungen der damaligen Tageszeitungen erwähnt und zueinander in Bezug gebracht. Kokoschka galt vor und nach dem Ersten Weltkrieg als der Pionier der neuen Malerei. Er war einer jener Künstler, der es geschafft hatte, das künstlerische Renommé über den Ersten Weltkrieg hinaus zu erhalten.
Kokoschka war in den 1920er Jahren bereits arriviert und etabliert, während Herbert Boeckl seine ersten Schritte im Kunstbetrieb absolvierte. Herbert Boeckl, der 1894 geboren wurde und gerade einmal acht Jahre jünger ist als Oskar Kokoschka, begann bereits vor dem Ersten Weltkrieges zu malen. Er verließ 1912 Kärnten und ging nach Wien, wo er sich für die Akademie bewarb. Boeckl wurde jedoch abgelehnt und begann an der Technischen Universität zu studieren. Er war ein Privatschüler von Adolf Loos. Hier gab es bereits einen ersten Berührungspunkt zu Oskar Kokoschka, da Adolf Loos als Förderer des Schöpfers der „Windsbraut“ galt. Im ersten Raum der Aufstellung finden wir auch einen Beleg für diese Beziehung. Gezeigt wird eine Zeichnung Kokoschkas, die den großen Architekten zeigt.
Anfang der 20er Jahre unternahm Boeckl Reisen nach Berlin (1922), nach Paris (1923) und nach Palermo (1924). Ausgerechnet Egon Schiele wurde eine Art Fan von Herbert Boeckl. Er ermöglichte dem jungen Kärntner Maler den Zugang zum Kunsthändler Gustav Nebehay, der mit Boeckl einen Vertrag abschloss und somit auch eine gewisse finanzielle Absicherung leistete. 1927 stellte Boeckl in der Sezession aus. 1928 bezog er sein Atelier in der Argentinierstraße, das er mehr oder weniger bis zu seinem Tode besaß. Der Aufstieg von Herbert Boeckl war rasant. Bereits 1935 wurde er zum Professor an jene Akademie, die ihn ehemals abgelehnt hatte, berufen.
Boeckl hatte es in den zwanziger Jahren sicher nicht leicht, sich im Kunstbetrieb durchzusetzen. In der Ausstellung wird auch auf diesen Umstand mit einer eigenen Sektion unter dem Titel „Karge Zwischenkriegszeit“ hingewiesen. Tatsächlich nutzte er die ersten Jahre um zu reisen und sich fortzubilden. Er lernte das Werk von Paul Cézanne kennen.
In einem Porträt aus dem Jahre 1930, das vom Vorstand des Kunsthistorischen Instituts des Bundesdenkmalamts, Karl Ginhart, verfasst wurde, wird diese schwierige Zeit bestätigt:
„Herbert Boeckl hat sich schwer durchgesetzt. Als ich vor zehn Jahren in einem Vortrag in Klagenfurt, seiner Heimatstadt, Bilder von ihm zeigte, ging ein bestürztes Lächeln durch den Saal: das große Publikum fiel vor Boeckls Bildern durch, es wollte ihm nicht einleuchten, dass dies Kunst sei, so neu und ungewohnt erschienen die Formen. Ich wurde am nächsten Tag mehrfach angegangen, nicht minder Bruno Grimschitz, der eigentliche „Entdecker“ Herbert Boeckls, sein Kriegskamarad und treuester, unerschrockenster Wegbereiter. Wir konnten beide nicht einsehen, warum hier die Leute nicht mitgehen wollen. Denn von allem Anfang an, war in den Werken dieses Malers eine lautere Kraft zu spüren, durchleuchtete seine Bilder ein strenger Ernst und ließ sich zwingend das edelste Bemühen um ein hohes Ziel erkennen. Hier war endlich wieder einmal unter Larven ein Mensch! Ein reines Herz erklang und sah ergriffen die aufopferungsvollste Hingabe an die Kunst, ein innigstes Besessensein von ihr (…)“
(Österreichische Kunst, Heft Nummer 12, 1930)
Vielleicht hatte er es auch deshalb so schwer, weil er seit den 20er Jahren – zumindest was gemeinsame Ausstellungen in Wien betraf – immer wieder direkt in Verbindung mit Kokoschka gebracht wurde – und die Kritik nicht immer freundlich mit ihm umging. Wolfgang Born schrieb zu Boeckls erster großer Einzelpräsentation innerhalb der Herbstausstellung der Wiener Secession folgendes: (…)
Dafür bricht der Klagenfurter Maler Herbert Boeckl mit der ganzen Wucht seines koloristischen Temperamentes revolutionär in die ängstliche Stille. Er zeigt gesammelt die Arbeit der letzten Jahre. Farbe blüht, strömt in klangsatten Akkorden von den Flächen – und verströmt trotz aller Überinstrumentation in Ermangelung eines zeichnerischen Willens, der ihrem Fluten Einhalt tun könnte, ein Problem das bei Boeckls genialem Vorbild Oskar Kokoschka in klassischer Weise gelöst ist. Nur wo im einfach gebauten Stilleben und in kleinen Landschaftsausschnitten formale Durchführung entbehrlich ist, entstehen Gebilde ohne innere Brüchigkeit, über die besonders die großen Figurenbilder nicht fortkommen.
(Die Bühne, Heft 162; 1927).
Einen ersten Vergleich zwischen den beiden finden wir bereits in einer Rezension aus dem Jahre 1920. Am 13. August 1920 schrieb Dr. Max Pirker unter dem Titel „Kärntner Schicksalstage“, dass in einer Wiener Kunstschau auch die jungen Kärntner Maler vertreten waren. Er verglich Herbert Boeckl mit Oskar Kokoschka und meinte, dass beide Repräsentanten der letzten Phase der modernen österreichischen Malerei seien. (Neues Wiener Journal, 13. August 1920).
Kokoschka und Boeckl – auch in französischen Kunstzeitschriften
Interessant ist auch die nicht ganz unbedeutende Tatsache, dass österreichische Kulturkritiker*innen versuchten, Artikel über die damalige zeitgenössische österreichische Malerei im Ausland zu positionieren. Anbei zwei Beispiele aus den Jahren 1929 und 1934.
Leopold Wolfgang Rochowanski veröffentlichte seinen Artikel über die österreichische Kunstszene im Jahre 1929. Er attestiert Kokoschka eine gewisse Stagnierung:
„Nachdem er [gemeint ist Kokoschka] die Literatur verließ, wählte er die Farbe und mit seinen Farben machte er sich auf die Reise; immer weiter, immer fort. Doch auf dem Weg zu fernen Horizonten geriet er kontinuierlich ins Stocken und das endete damit, dass er zum Wiener Idiom zurückkehrte, dass wenn man so will – in seiner Malerei gesprochen wird.“
L. W. Rochowanski weiter:
„Herbert Böckl ist ein großes Talent. Bis jetzt ist er so mit der Offenbarung der Farbe beschäftigt, dass er gerade einmal damit begonnen hat an Zeichnung und Form zu arbeiten.“
(L. W. Rochowanski in L’art vivant, Paris 1929).
Hans Tietze schrieb in einem Artikel aus dem Jahre 1934 (für die Zeitschrift „L’Amour de l’Art“), dass Boeckl nach einer neuen Naturinterpretation suche und zwar unabhängig von allen damaligen Kunsttheorien. Er verwies auf die alpenländische Abstammung des Künstlers, der die elementare Kraft eines Bodens in sich zu konzentrieren scheine, der unter der Oberfläche der Zivilisation reine Natur geblieben ist; Blumen seien von einem üppigen Saft erfüllt und würden eine ungehemmte Kraft manifestieren.“ Allerdings bestätigte er, dass Kokoschka nachwievor jener Künstler in Österreich sei, der am meisten „en vogue“ sei. Also auch hier der direkte Vergleich – allerdings mit dem Unterschied, dass er Boeckl durchaus eine eigene Position zuschrieb.
Beide Zitate vermitteln den Eindruck, dass Herbert Boeckl Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts eine rasante Entwicklung in der Bewertung nahm – vom „Quasi-Kokoschka-Epigonen“ zu einem eigenständigen Talent.
Umkehrung der Rezeption nach 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Rezeption von Herbert Boeckl im Vergleich zu Kokoschka sehr stark. Man könnte (fast) von einer 180°-Drehung sprechen.
Kokoschka befand sich seit 1934 im Exil. Er war mittlerweile britischer Staatsbürger und stellte im Ausland aus. Boeckl, der während des Krieges in Österreich geblieben war, galt als das neue Aushängeschild des österreichischen Kunstbetriebes.
Er stellte 1946 in der Akademie aus. Im Rahmen dieser Ausstellung kam es zu einer sogenannten „Aussprache“ in der Akademie der bildenden Künste. Die österreichische Kulturvereinigung hatte zu einer Diskussion geladen, die den Stellenwert Boeckls für die österreichische Kunst definieren wollte. Man war sich schnell darüber einig, dass Boeckl der Mann der Stunde und der Mann der Moderne sei.
Nur der damalige Wiener Kulturstadtrat Dr. Viktor Matejka war einer der wenigen Proponenten, der sich weigerte Boeckl als das alleinige Aushängeschild der modernen österreichischen Malerei anzuerkennen. Er brachte im Rahmen der Diskussion Oskar Kokoschka ins Spiel und verwies ebenso auf den Maler Rudolf Rappaport, auch bekannt als Rudolf Ray, der sich ebenfalls im Ausland befand. Allerdings war Rudolf Rappaport den meisten Anwesenden unbekannt.
Interessant ist die Tatsache, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Boeckl als der führende Maler angesehen wurde, während Kokoschkas Stern in Österreich offensichtlich ein wenig verblasste und man immer wieder ein wenig an die Bedeutung Kokoschkas erinnern musste. Das begann schon 1945. In der Ausgabe 8 von „Die Wiener Bühne“, die im August 1945 kam es auch zu einer Abrechnung mit dem Konzept der „entarteten Kunst“. Dort lesen wir bezüglich Boeckl und Kokoschka.
„Wenn auch heute, in Abwesenheit von Kokoschka, der fünfzigjährige Böckl der wichtigste Maler hier ein dürfte, so ist er keinesfalls der einzige bedeutende moderne.“
Die Wiener Bühne. Heft 8/1945.
Die Bewertung Boeckls hat – wie man erahnen kann – auch mit der Einstellung gegenüber Maler*innen zu tun, die sich nach Kriegsende im Exil befanden – und auch dort blieben. Bezeichnend für diese Umkehrung der Wertung ist ein geschriebenes Portrait, das zu Boeckls 60. Geburtstag, erschien. Der damalige Kunsthistoriker am Kärntner Landesmuseum, Richard Millesi, ehrte den Kärnter Maler mit folgenden Worten:
„Neben Kokoschka und Kolig ist ein Boeckl der bedeutendste Vertreter der österreichischen Malerei, ja, er ist heute eigentlich der einzige, da Kokoschka sich nicht mehr zu Österreich bekennt und Kolig 1950 gestorben ist.
(Carinthia I, 1954).
Wer schlussendlich aus der vermeintlichen Rivalität als Sieger herausgeht, ist wohl bis zu einem gewissen Grad Geschmackssache. Für den read!!ing room war es eine lehrreiche und spannende erste Exkursion.
Weitere Informationen zur Ausstellung:
Offizielle Informationen der Albertina Modern zur Ausstellung: https://www.albertina.at/site/assets/files/20539/pm_boeckl_final-1.pdf
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