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Herr Udo und (s)ein Eisenschädel

Im April 2012 las Georg Biron zum ersten Mal im read!!ing room. Der Autor, dem niemand geringeres als Franz Schuh “eine literarische Existenz” bescheinigte, las damals im Zuge einer Veranstaltung der GAV. Im Februar 2020 sollte Georg Biron in die Anzengrubergasse mit einer Erotik-und Wien-Lesung zurück kehren. Doch die ersten Corona-Vorsichtsmaßnahmen ließen die Lesung platzen.

Aber bekanntlich wird ja alles gut, was lange währt. Am 23. Februar 2023 las Georg Biron aus seinen aktuellen Büchern “Der Herr Udo” und “Eisenschädel” im Café Wortner, das einen passenden Rahmen für eine tolle Lesung bot.

Trotz alledem

Biron stieg mit einem kleinen literarischen Verweis auf das Revolutionsjahr von 1848 ein und las aus dem Gedicht “Trotz alledem” von Ferdinand Freiligrath. Der deutsch Lyriker und Übersetzer Freiligrath hatte 1843 einen Text des schottischen Nationaldichters Robert Burns ins Deutsche übertragen. Seitdem werden immer wieder Strophen an “Trotz alledem” von unterschiedlichen Autor*innen angefügt. Auch Georg Biron trug eine moderne Strophe als Warming-Up für das Publikum und sich selbst vor.

Der Herr Udo und ein Flugsaurier über Manila

Udo Proksch gehörte zweifelsohne zu den schillernsten Persönlichkeiten der 60er, 70er und 80er Jahre. Und wer Proksch sagt, sagt auch “Lucona”. Proksch wurde seinerzeit beschuldigt, ein Schiff – eben besagte Lucona – gesprengt zu haben um einen Versicherungsbetrug durchzuziehen. Sechs Seeleute wurden dabei getötet. Proksch landete schlussendlich im Gefängnis.

Zum 20. Todestag seines Freundes Proksch schrieb Biron ein Porträt, das sehr persönlich ausfiel. Biron las zwei Passagen aus dem 150 Seiten starken Büchlein, das 2022 im Wieser-Verlag erschien. Zunächst beschrieb er eine Nacht im legendären Club45, der über der noch immer existenten Konditorei Demel am Wiener Kohlmarkt lag. Der Club 45 war eine Art Salon und Gentleman’s Club der anderen Art. Hier gingen Politiker ein und aus. Hier spielte der legendäre Chet Baker auf. Hier hielt Udo Proksch Hof und ließ sich etwa von Georg Biron bei einem kleinen Imbiss interviewen.

Die zweite Passage war Manila gewidmet. Proksch, mittlerweile per Interpol in über 140 Ländern gesucht, versteckte sich in der philippinischen Hauptstadt als buddhistischer Bettelmönch getarnt . Er ließ Biron zum Interview einfliegen. Der erste Termin wurde verschoben, weil die Polizei sich an Birons Fersen geheftet hatte. Stattdessen spendierte Proksch per Telefonanweisung seinem Freund einen Aufenthalt in einem Freudenhaus. Der Besuch endete auf dem flachen Dach, samt Magic Mushrooms und einem imaginierten Flugsaurier, der durch die Abendröte von Manila flog…

“Der Herr Udo” ist nicht nur das Porträt “eines kriminellen Gesamtkunstwerks”, sondern eine wunderbare leichtfüßige Reportage und eine sehr persönliche Sicht auf einen Freund.

Eisenschädel und Sissi

Nach einer kurzen Pause las Biron aus seinem neuesten Buch (immerhin das 32. Buch des Autors) mit dem wunderbaren Titel “Eisenschädel”. Biron meint zu seiner Autobiografie: „Ich bin von den verschiedensten Menschen immer wieder ermuntert worden, meine Autobiografie zu schreiben. Weil ich so viel unterwegs war. Weil ich so vieles erlebt habe. Mein Verleger Lojze Wieser hat aber nach zahlreichen Gesprächen eingesehen, dass ich keine Autobiografie im üblichen Sinn liefern will. Aber zu einem autobiografischen Roman als ersten Teil einer Trilogie konnte er mich überreden. Und ich muss sagen: Das Wörtern dieser Memoiren hat mir sogar viel Freude gemacht, denn es ist mehr als eine Chronik der Ereignisse, bei der sich im Kleinen das große Ganze spiegelt. Schnell wurde mir klar: Für dieses Buch muss ich nicht viel dichten. Das Problem besteht eher darin, meine Erinnerungen glaubhaft zu machen.“

Der Autor berichtet in “Eisenschädel” von seiner ersten Liebe. Sissi, stolze 5 Jahre alt mit zwei blonden Zöpfen; ein Wildfang, der es faustdick hinter den Ohren hatte. Der kleine Georg wurde von Sissi zum Vater-Mutter-Kind-Spielen auserkoren: Schmusen, Würgen und Küssen hinter dem Vorhang im Festsaal inklusive. Die Mutter von Sissi war Leichenwäscherin und stammte aus Rumänien. Die kleine Sissi betonte dies immer wieder, wenn die Rede auf ihre Mutter kam – so als ob diese Information irgendetwas erklären sollte… Die frühreife Sissi und er kleine Georg – man kann sich vorstellen, dass dies eine explosive Mischung im katholischen Kindergarten war.

Jahre später fuhren Sissi und Georg nach Berlin in einem 911er. Es war die Zeit als Westberlin das subkulturelle Mekka der Populärkultur war. David Bowie, Nick Cave und wie sie alle hießen, waren in West-Berlin. Biron war nicht nur Zeuge; er war mittendrin. Und weil dies nicht genügte setzte er den 911er gegen die Berliner Mauer. Wie gut, dass es nicht der eigene war…

Biron präsentierte an diesem Abend nicht nur zwei wunderbare Bücher, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte. Er bestätigte Franz Schuhs Ansicht, dass Birons Literatur nicht unbedingt als brav zu qualifizieren sei. Aber wer will schon immer brav sein…


Links zu den vorgestellten Büchern (erschienen im Wieser Verlag)

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