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Die Equipe oder der letzte Sitzkreis

Svea Kerling publizierte im Herbst 2017 ihr bereits drittes Buch unter dem Titel “Die Equipe – der letzte Sitzkreis” im tredition Verlag vor. Ein Sitzkreis ist mehr als eine bloße Ansammlung von kreisförmig aufgestellten Sesseln. Eine derartige Anordnung dient vor allem im Unterricht, aber auch in einer Gruppentherapie dazu, den Teilnehmer*innen einen offenen und gleichzeitig schutzgebenden Rahmen zu bieten. Außerdem ist der Sitzkreis eine möglichst hierarchiefreie Anordnung. Die Diskussionsleitung fügt sich nahtlos in den Sitzkreis ein.

Kerlings  Sitzkreis ist  mehr als eine bloße Anordnung. Die Autorin las bei ihrer Präsentation den Prolog und das erste Kapitel ihres Romans. Das Besondere war dabei, dass das Setting des Sitzkreises jedes Mal aus einer anderen Perspektive beschrieben wurde. Auf der Website von Kerling wird das Verfahren wie folgt erläutert:

“In ihrem Roman »Die Equipe« richtet sich die Autorin Svea Kerling nicht nach der Identität der Darsteller, sondern bringt eine Darstellung in den Raum, die sich nach dem Handeln der einzelnen Darsteller richtet.”

Ein Mann mit Hut und ein Therapeut namens Unfried

Im Prolog beschreibt eine Figur, die nur als “der Mann mit Hut” bezeichnet wird. Die namenlose Figur vergleicht den Sitzkreis mit einer Theateraufführung. Unweigerlich fühlt man sich an Shakespeares berühmtes Zitat “all the world is a stage” aus “As You Like It” erinnert. Im ersten Kapitel wechselt die Perspektive. Eine zweite Figur namens Kjell wird mehr oder weniger zur zentralen oder bestimmenden Figur des Geschehens.

Kjell präsentiert sich als ziemlich renitenter Bursche, der offenbar vom Opfer (=misshandeltes Kind) zum Täter (=verbale Agressionen gegenüber den anderen Sitzungsteilnehmer*innen) mutiert ist. Das Spannende: Einerseits betont Kjell, dass er “das alles nicht brauche”, beschimpft den Therapeuten und andere Teilnehmer*innen auf das Übelste. Andererseits scheint er unfähig zu sein, den Kreis zu verlassen und seinen Worten somit auch Taten folgen zu lassen. Weitere Figuren sind unter anderem: eine dicke Frau, die dauernd isst, eine junge Frau, die sich permanent entschuldigt, der Therapeut mit dem Namen Unfried und der bereits erwähnte Mann mit Hut, der im 1. Sitzkreis mit Äußerungen zu einem konstruktivistischen Weltbild aufhorchen lässt. Die Handlung besteht quasi aus den Sitzungsprotokollen. Die Autorin versicherte bei der Lesung, dass es von Sitzkreis zu Sitzkreis – also von Kapitel zu Kapitel – weiter in die Tiefe gehen würde und dass es zu keinem Happy End käme. Dieses Versprechen liefert ebenfalls der Klappentext.

“»Die Equipe« kennt kein Happy-End, es kennt keine Alternative am Ende, und doch gelingt es dem Leser, sich in den jeweiligen Personen einmal mehr und einmal weniger wiederzufinden. Das Mögliche und das Notwendige stehen immer im Mittelpunkt des Geschehens, kurze straffe Handlungseinheiten und sein anscheinend geringer Umfang ohne Nebengeräusche machen aus dem Werk von Svea Kerling ein kleines Meisterwerk der Tragödie.”

Ob es sich tatsächlich um ein Meisterwerk handelt, muss jede*r Leser*in – wie bei jedem Buch – für sich entscheiden.

https://www.facebook.com/readingroomwien/videos/1759445664090221/

Veröffentlicht in read!!ing room Organisatorisch

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