Isabel Folie vom Künstlerkolletiv GrauerGreif präsentierte ihr erstes Buch im read!!ing room
„In meiner Mitte Kohle, in meinen Armen der Wind“ ist nicht nur der Titel für junge lyrische Prosa oder einen Gedichtzyklus einer neuen literarischen Stimme aus Südtirol, sondern ein gut durchdachtes Werk, das durch den geschickten Einsatz von stilistischen Mitteln und literarischen Techniken, eine Lektüre auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht.
Das Spiel mit der Sprache – ein Sprachspiel?
Folie liebt es mit der Sprache zu spielen. Dies kann schon nach einer oberflächlichen Lektüre gesagt werden. Aber haben wir es auch mit einem Sprachspiel zu tun?
Das Sprachbild respektive das Sprachspiel ist das prägendste Moment in der Lyrik von Isabel Folie. Dabei ist es keinesfalls übertrieben vom „Sprachspiel“ im Sinne von Ludwig Wittgenstein zu sprechen, wie es der große Philosoph in den „Philosophischen Untersuchungen“ geprägt hat. Ausgangspunkt von Wittgensteins Sprachspiel ist folgende Definition: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“(§43)“. Daraus folgt – wenn auch sehr vereinfacht – dass wir die Spielregeln kennen müssen, damit das Spiel der Sprache funktioniert. Isabel Folie spielt dieses Spiel auf ihre eigene Weise. Sie bricht und mischt ganz (selbst)bewusst die „Familienähnlichkeiten“ und hebt die Grenzen zwischen den Sprachspielen auf. Ein schönes Beispiel für diesen Prozess ist die Zeile „Ein Pfau schlägt Räder mit Federn aus Stahl“.
Folie spielt jedoch nicht nur auf der rudimentären Ebene des Wortes oder des Begriffs. Sie geht auch in die nächste Ebene und bedient sich des Zitats. In einigen Gedichten lassen sich direkte oder indirekte Bezüge zu Märchen erkennen, die Folie in ihr Gegenteil verdreht oder in einen neuen Kontext stellt: Der Spiegel an der Wand, der beim Anblick zerspringt könnte als schwarze Version des Schneewittchens gelesen werden. Der Froschkönig, der an seinem Schleim erstickt, wäre ebenso zu finden und auch ein Zitat auf Hänsel und Gretel (ja die berühmten Brotkrumen im finsteren Wald) darf in dieser illustren Runde nicht fehlen.
Palimpseste
Sprachspiele, Zitate und die zahlreichen Fußnoten, die als literarische Ergänzungen sprich als eine Art hypertextuelles Element funktionieren, bringen uns zu Gerard Genettes Palimpsesten. Man könnte den Eindruck gewinnen – und ich hoffe, dass es sich hier nicht um eine Überinterpretation handelt – dass Folie, Genettes Prinzip der Intertextualität in ihrem Gedichtzyklus umsetzt. Fast würde ich mich zur Aussage hinreißen lassen, dass das Prinzip der Palimpseste ein Art Blaupause für „In meiner Mitte Kohle, in meinen Armen der Wind“ darstellt. Nicht nur die zahlreichen wiederkehrenden Bilder (das schwarze Kleid, der Mund voll Erde, das morsche Holz) können als textuelle Anker gesehen werden, sondern auch die bereits erwähnten Fußnoten, die keine Erklärungen sind. Sie sind vielmehr kleine semantische Ergänzungen und treiben das Sprachspiel noch ein wenig weiter und noch ein wenig bunter.
Eine weitere Ebene besteht im Definieren des eigenen Körpers. Ich schreibe bewusst „Definieren“ und nicht „Definition“. Definieren soll sowohl in seiner sprachlich-deterministischen als auch in seiner gestalterisch-formgebenden Bedeutung verstanden werden. Das lyrische Ich von Isabel Folie entfernt sich von den körperlichen Merkmalen und der bloßen Hülle klassisch männlich gedachter Weiblichkeit und Projektionen. Es ist ein bewusster feministischer Gegenentwurf zu konventionellen Körpermetaphern.
Bestechend ist, dass die beschriebene Körperlichkeit von außen und von innen „definiert“ wird: Der Sand, der aus den Augen rinnt, das Geräusch der Kirchenglocken, das aufwärts und abwärts durch den Körper strömt, der Blick in den Spiegel, der letzteren zerstört – um nur einige zu nennen. Oder in die andere Richtung: Erde schabt sich ins Gesicht, ein Kleid beugt den Rücken, Felsen fressen die Haut, ein weicher Lauf drückt sich in den Rücken.
Und last but not least: Die Gedichte von Isabel Folie sind eine moderne Form von Naturlyrik. Die Inszensierung des Körpers steht in einer starken Wechselwirkung mit Naturmetaphern; es entsteht der Eindruck als würde der Körper durch die Natur geformt und gleichzeitig der eigene Körper die Umwelt definieren. Die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde sind omnipräsent und werden durch Stahl und andere Stoffe ergänzt…
Back to normal…
In einer sehr interaktiven Lesung gab die Autorin auch Einblick in ihren Arbeitsprozess. Die Texte würden mehr oder weniger in einem Guss geschrieben werden und sind das Ergebnis eines Nach-Denkens. Auf das Mittel der Montage würde sie – auch wenn dieser Eindruck entstehen kann – nicht zurückgreifen.
Die Lesung von Isabel Folie hätte auch unter dem Motto: Südtirol trifft Wien stehen können. Tatsächlich ist die Edition Raetia in Bozen ein unabhängiger Verlag. Seit 30 Jahren verlegt das Haus Literatur aus Südtirol in deutscher und italienischer Sprache. Mit der hausinternen Reihe „ZOOM-ED“ setzte der Verlag ein Programm für Erstveröffentlichungen auf. Zusammen mit der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung SAAV sollen so südtiroler Stimmen gefördert werden. Wir freuen uns auf weitere Stimmen.
Link zum Verlag / Buch
Weitere Auftritte/Lesungen von Isabel Folie
- 19.10.2021 – Poesie und Musik im Pygmalion Theater. Ort: Pygmalion Theater, Wien, Österreich – Zeit: 20:00
- 17.11.2021 – Lesung bei Sprachspiele – Linguaggi in gioco. Ort: Frauenmuseum Meran, Italien – Zeit: 20:00
- 23.11.2021 – Lesung mit der Autorengruppe Jung Wien ’14. Ort: Amerlinghaus, Wien, Österreich – Zeit: 19:00
- 01.12.2021 – Lesung in der Stadtbibliothek Bruneck. Ort: Stadtbibliothek Bruneck, Italien- Zeit: 18:30
- 23.01.2022 – Lesung im Café Anno. Ort: Café Anno, Wien, Österreich – Zeit: 20:00
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