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Woyzeck: aktuell wie nie!

Horst Dinges aktualisierte Büchners Woyzeck und präsentierte eine Lesung mit Workshop-Charakter

Besucher/innen der Lesungen von Horst Dinges wussten, dass der Künstler nicht einfach nur einen “Woyeck herunterlesen würde”. Dinges konzentrierte sich vielmehr auf das historische Vorbild und bearbeitete die Quellen sowie den Büchnerschen Woyzeck derart, dass eine eigene Version entstand.

Vorbild für Büchner und Dinges war der am 3. Januar 1780 in Leipzig geborene Johann Christian Woyzeck, der 1821 die 46-jährige Witwe Johanna Christiane Woost erstach. Der Medizinprofessor Johann Christian August Clarus wurde als Experte bestellt. Er fertigte  zwei Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten an, was für die damalige Zeit sicherlich keine Selbstverständlichkeit war. Johann Christian Woyzeck wurde nicht zuletzt auf Basis der Gutachten von Clarus verurteilt und am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig öffentlich hingerichtet. Das Interessante: Nicht nur Büchner inspirierte dieser Fall. Die Rezeption von Büchners Woyzeck führte dazu, dass der historische Woyzeck und der Prozess, samt Urteil und Gutachten, auch die Wissenschaft in editorischen, psychiatrischen und juristischen Fragestellungen auf den Plan rief.

In der Woyzeck-Bearbeitung von Dinges bildet das Gutachten von Clarus den Rahmen für Woyzecks Monologe. Recht schnell stellte sich heraus, dass die Eindeutigkeit von Clarus Gutachten zu hinterfragen sei und der Sachverhalt durchaus kompliziert ist. Dinges griff auf die Forschung zu Woyzeck zurück und präsentierte die Figur als schizophrenen Alkoholiker, als brutalen Menschen, der sich mit der Obrigkeit anlegte und als geprügelten Hund. In einer fulminanten Dichte prasselten die Themen auf das Publikum ein. Stilistisch spiegelte die Sprache des Deliquenten die zahlreichen Schläge die Woyzeck im übertragenen Sinn einstecken musste.

Nach etwa zwanzig Minuten unterbrach Horst Dinges seine Lesung und schuf Raum für eine Verschnaufpause. Eine rege Diskussion entwickelte sich sehr schnell und streifte die Themen Klaus Kinski, Werner Herzog, Opfer, Täter, Inszenierung, Schuld. Die Lesung verwandelte sich in eine Art Workshop zum Thema Büchner. Der zweite Teil der Lesung entfernte sich dann ein wenig von den Quellen um Carus und den Originaljustizfall und folgte der Büchnerversion. Dinges schloss mit dem Gutachten von Clarus und einem erklärenden Statement.

Unsere Reihe “Die Vorleser/innen” bot einen spannenden Abend, der dem Publikum vielabverlangte und bewies, dass Georg Büchner auch noch nach knapp 200 Jahren viel zu erzählen hat.

https://www.facebook.com/readingroomwien/videos/1554817364553053/

Veröffentlicht in Veranstaltungen

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